Einführung #
Im Folgenden werden die allgemeinen Voraussetzungen im Eingliederungshilferecht nach dem SGB VIII (Sozialgesetzbuch 8) erläutert. Leistungen der Eingliederungshilfe können auf Grundlage unterschiedlicher Gesetze gewährt werden. Je nachdem, was für Voraussetzungen jemand mitbringt, richtet sich der Anspruch entweder nach dem SGB IX oder nach dem SGB VIII. Das zieht nach sich, dass unterschiedliche Träger die Leistungen erbringen und auch die Verfahren unterschiedlich aussehen. Es ist daher wichtig zu bestimmen, auf welcher gesetzlichen Grundlage die Eingliederungshilfeleistungen erbracht werden.
Junge Menschen mit Behinderungen können Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB VIII haben. Das Kinder- und Jugendhilferecht ist damit Teil des sogenannten Rehablitationsrechts, welches die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen regelt. § 35a SGB VIII ist die Anspruchgrundlage für Kinder, Jugendliche und junge Volljährige mit einer seelischen Behinderung.
Im Folgenden werden die Voraussetzungen der Eingliederungshilfe sowie Besonderheiten der Leistungsgewährung nach dem SGB VIII erläutert.
Auf einen Blick: Eingliederungshilfeleistungen nach dem SGB VIII erhalten Kinder und Jugendliche sowie junge Erwachsene mit seelischen Beeinträchtigungen.
Zur Erinnerung: Eingliederungshilfeleistungen nach dem SGB XI erhalten Kinder und Jugendliche sowie junge Erwachsene mit wesentlichen (drohenden) körperlichen, seelischen, geistigen oder Sinnesbeeinträchtigungen.
An die Gewährung einzelner Eingliederungshilfeleistungen sind zusätzliche besondere Voraussetzungen geknüpft. Die besonderen Voraussetzungen werden bei den jeweiligen Leistungen der Eingliederungshilfe aufgeführt.
Leistungsberechtigte Personen #
Der Kreis der leistungsberechtigten Personen, also derjenigen Menschen, denen Leistungen der Eingliederungshilfe zustehen können, ist begrenzt.
Kinder oder Jugendliche haben Anspruch auf Eingliederungshilfe, wenn
- ihre seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht, und
- daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist.
Kinder und Jugendliche
Eingliederungshilfe nach dem SGB IX erhalten Kinder und Jugendliche, also Menschen, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben.
Kind ist, wer noch nicht 14 Jahre alt ist, Jugendlicher, wer 14, aber noch nicht 18 Jahre alt ist.
Junge Volljährige
Auch junge Volljährige können Eingliederungshilfe erhalten. Die Eingliederungshilfe für junge Volljährige wird im Rahmen der Hilfen für junge Volljährige erbracht. Das Kinder- und Jugendhilferecht richtet sich nämlich in erster Linie an Kinder und Jugendliche, erkennt aber an, dass auch junge Volljährige bis zum 27. Lebensjahr besonderen Unterstützungsbedarf haben können. Daher hat der Gesetzgeber die Hilfen für junge Volljährige geschaffen. Tatsächlich haben viele junge Menschen auch nach Erreichen der Volljährigkeitsgrenze Unterstützungsbedarf und erfahren diese Unterstützung in der Regel auch familiär. Junge Menschen, die auf die familiären Systeme nicht zurückgreifen können oder die einen Unterstützungsbedarf haben, der durch ein familiäres System nicht aufgefangen werden kann, erhalten auch nach Erreichen der formalen Volljährigkeitsgrenze weiter Unterstützung durch das System Jugendhilfe.
Um zu ermitteln, ob eine Person, die
- volljährig ist und
- eine seelische Behinderung hat
noch Eingliederungshilfe nach dem SGB VIII erhalten kann oder nicht, müssen die Voraussetzungen der Hilfen für junge Volljährige geprüft werden.
Die Hilfen werden erbracht, wenn und solange die Persönlichkeitsentwicklung eine selbstbestimmte, eigenverantwortliche und selbständige Lebensführung nicht gewährleistet. Die Hilfe wird in der Regel nur bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres gewährt, bei Vorliegen der Voraussetzungen hat die Behörde dann eine gebundene Entscheidung zu treffen; in begründeten Einzelfällen soll sie für einen begrenzten Zeitraum darüber hinaus fortgesetzt werden. Der Behörde steht also ab dem 22. Lebensjahr ein Entscheidungsspielraum zu („Soll-Verschrift“: begrenztes Ermessen), ob sie Hilfen für junge Volljährige einschließlich der Eingliederungshilfeleistungen erbringt.
Lesen Sie: § 41 Abs. 1 S. 1 und 2 SGB VIII
Scheiden Hilfen für junge Volljährige aus, weil die Voraussetzungen fehlen, so kommt für diese Menschen Eingliederungshilfe nach dem SGB IX in Betracht.
Seelische Behinderung #
Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB VIII erhalten ausschließlich Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene mit seelischen Behinderungen.
Ihnen wird Eingliederungshilfe gewährt, wenn
- ihre seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht, und
- daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist.
Der zweigliedrige Behinderungsbegriff setzt sich daher zusammen aus
- einer seelischen Beeinträchtigung und
- einer Teilhabebeeinträchtigung.
Um festzustellen, ob eine seelische Beeinträchtigung vorliegt, hat der Träger der öffentlichen Jugendhilfe die Stellungnahme
- eines Arztes für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie,
- eines Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, eines Psychotherapeuten mit einer Weiterbildung für die Behandlung von Kindern und Jugendlichen oder
- eines Arztes oder eines psychologischen Psychotherapeuten, der über besondere Erfahrungen auf dem Gebiet seelischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen verfügt,
einzuholen.
Die Stellungnahme ist auf der Grundlage der Internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD) in der vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte herausgegebenen deutschen Fassung zu erstellen.
Auf Grundlage der Stellungnahme beurteilt das Jugendamt das Vorliegen der Teilhabebeeinträchtigung und darauf aufbauend das Vorliegen einer seelischen Behinderung insgesamt.
§ 35a Abs. 1 SGB VIII beschränkt den Leistungsanspruch auf junge Menschen, deren „seelische“ Gesundheit beeinträchtigt ist, die also seelisch behindert sind. Damit greift das SGB VIII eine Teilgruppe von Menschen mit Behinderungen aus dem Leistungssystem des SGB IX heraus. Kinder und Jugendliche, die „seelisch“ behindert sind, erhalten Leistungen aus dem System des SGB VIII während Kinder und Jugendliche, die geistig oder körperlich behindert sind, Leistungen aus dem System des SGB IX erhalten. Für junge Volljährige gilt dieses entsprechend, wenn gleizeitig die Voraussetzungen des § 41 Absatz 1 SGB VIII vorliegen.
Eingliederungshilfe nach SGB VIII und SGB IX
SGB VIII | SGB IX |
---|---|
Menschen mit seelischer Behinderung | |
Menschen mit geistiger Behinderung | |
Menschen mit körperlicher Behinderung |
Eine drohende Behinderung liegt vor, wenn die Beeinträchtigung der gesellschaftlichen Teilhabe nach fachlicher Erkenntnis mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Das Drohen bezieht sich also auf die Teilhabebeeinträchtigung. Eine seelische Beeinträchtigung muss bereits vorliegen. Erforderlich ist eine Prognose zu der zu erwartenden Beeinträchtigung.
Lesen Sie: § 35a Abs. 1 SGB VIII
Hinweis: Anders als in der Eingliederungshilfe nach SGB IX erfordert die Eingliederungshilfe im Kinder- und Jugendhilferecht keine wesentliche Behinderung.
Geeignetheit und Notwendigkeit #
Leistungen der Eingliederungshilfe werden nur gewährt, wenn ein entsprechender Bedarf vorliegt. Die Leistung muss geeignet und notwendig sein, diesen Bedarf zu decken.
Um die geeigneten und notwendigen Hilfen zu ermitteln, führt die Behörde ein sogenanntes „Hilfeplanverfahren“ durch, in dem ermittelt wird, ob und welche Hilfen in Betracht kommen und wie diese ausgeführt werden.
Vorrang der Jugendhilfe bei seelischer Behinderung #
Faktisch sieht das SGB IX Leistungen für Menschen mit Behinderungen unabhängig von der Art ihrer Behinderung vor.
Lesen Sie: § 99 Abs.1 SGB IX und § 2 Abs.1 S.1 SGB IX.
Nach dem Wortlaut des § 99 Abs.1 S.1 SGB IX könnten damit auch Kinder, Jugendliche und junge Volljährige mit einer seelischen Behinderung Leistungen nach § 99 SGB IX erhalten. Der Anspruch auf Eingliederungshilfe zugunsten von Kindern, Jugendlichen und jungen Volljährigen, die seelisch behindert sind, ist also scheinbar doppelt geregelt. Einmal im SGB VIII und einmal im SGB IX.
Das SGB VIII regelt deshalb einen Vorrang der Jugendhilfe bei seelischer Behinderung, dagegen einen Vorrang der Eingliederungshilfe nach dem SGB IX bei geistiger und seelischer Behinderung.
Zuständigkeitsstreits
Für die Frage der Zuständigkeit kommt es daher maßgebend darauf an, ob der jeweilige junge Mensch seelisch oder eben geistig oder körperlich behindert ist.
Ist diese Frage nicht eindeutig zu entscheiden, kommt es in der Praxis häufig zu Zuständigkeitsstreits.
Dieses Problem soll mit der Regelung zur Zuständigkeitsklärung bewältigt werden.
Wollen Eltern und andere Personensorgeberechtigte in einem solchen Fall Kindeswohlinteressen angemessen wahrnehmen, ist es oft geboten, mit den dafür vorgesehenen Mitteln den Anspruch durchzusetzen und zwar auch unter Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes. Dieses Gebot trifft auch Vormundinnen und Vermünder, insbesondere auch Amtsvormundinnen und Amtsvormünder.
Die gebotenen rechtlichen Schritte sind:
- bei allen in Betracht kommenden Behörden schriftlich Anträge auf die in Betracht kommenden Leistungen stellen
- Kommunikation und Verhandlung mit diesen Behörden
- nach Erlass ablehnender Bescheide: fristgebundene Rechtsbehelfe einlegen
- Widerspruch – Frist: 1 Monat
- Klage – Frist: 1 Monat
- bei versäumten Fristen: Stellen von Überprüfungsanträgen
- Veranlassung verwaltungsgerichtlicher bzw. sozialgerichtlicher Eilverfahren
- gerichtliche Zuständigkeit:
- Ansprüche nach dem SGB VIII: Verwaltungsgericht
- alle anderen Sozialleistungen: Sozialgericht
Rechtsfolge #
Art und Umfang der Hilfe werden in § 35 Abs. 2 – 4 SGB VIII bestimmt.
Persönliches Budget
Leistungsberechtigte junge Menschen im Sinne von § 35a SGB VIII können anstelle von Dienst- oder Sachleistungen auch Geldleistungen gewährt werden, mit denen diese ihren Hilfebedarf selbst „einkaufen“ können. Als Experten in eigener Sache können sie so selbständig und selbstbestimmt über Art und Umfang der von ihnen benötigten Hilfe entscheiden.
Eingliederungshilfeleistungen
§ 35a Abs. 3 SGB VIII verweist darüber hinaus auf wesentliche Reglungen aus Teil 2 des SGB IX, das sogenannte Eingliederungshilferecht.
Danach können gewährt werden: